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Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde Czernowitz

Schon im späten Mittelalter gab es die ersten Hinweise auf jüdische Einwohner in Czernowitz.
Schon in der vorösterreichischen Zeit genoss die jüdische Gemeinde die sogenannte „Kahals“,
das heißt, sie hatte eine gewisse Autonomie in Bereichen wie Justiz, Bildung, Erziehung und
Wohlfahrt. An der Spitze der Gemeinde standen die Ältesten und der Rabbiner, die die jüdischen
Interessen gegenüber dem Staat vertraten.
Zu Beginn der Habsburger Herrschaft über die Bukowina in 1774 gab es in Czernowitz bereits
112 jüdische Familien.
Zwar gestand die österreichische Gerichtsbarkeit den Juden einige Rechte zu wie z.B. auf freie
Religionsausübung („Toleranzedikt“ im Jahr 1789), war aber gleichzeitig auf Zwang zur
Assimilation ausgerichtet.
1799 begann die örtliche Gemeinde mit dem Bau einer neuen Steinsynagoge. Die Fertigstellung
dauerte aber mehr als ein halbes Jahrhundert und in dieser Zeit bildete sich in der
Landeshauptstadt Czernowitz ein aufgeklärtes jüdisches Bürgertum aus.
Zur gleichen Zeit fassten die Lehren des Bal Schem Tow Fuß und in der Vorstadt von Sadgora
entstand eines der Zentren des Chassidismus, angeführt von der Rabbi Friedman-Dynastie.
In der zweiten Hälfte des Neunzehnten Jahrhunderts verbesserte sich der rechtliche Status der
jüdischen Bevölkerung. Im Jahr 1864 erhielten die Juden von Czernowitz das Recht,
unbewegliches Vermögen zu besitzen, und 1867 alle weiteren bürgerlichen Rechte.
Zweimal, 1905 und 1913, wurden Anhänger des mosaischen Glaubens zum Bürgermeister
gewählt. Allerdings war die Massenakkulturation der Czernowitz Juden keine Allheilmittel für
alle sozialen und politischen Probleme. Im Gegenteil, in der jüdischen Gemeinschaft wurden

hitzige Diskussionen über die Identität und Strategie bezüglich der nationalen Selbsterhaltung
geführt. Anführer der Zionisten in Czernowitz waren Benjamin Straucher, Leon Kellner und
später Mayer Ebner.
Es entstanden zahlreiche zionistische Studentenvereinigungen sowie verschiedene nationale
Bildungs- und Kulturvereine.
Die Anerkennung der Juden der Bukowina als separate Nationalität im Jahre 1909 hatte eine
Blütezeit der dortigen Jüdischen Kultur zu Folge. Das Jüdische Nationalhaus wurde gebaut, der
weltweite „Jiddisch Kongress“ fand in Czernowitz statt und Theodor Herzl besuchte die Stadt.
Das Leid des Ersten Weltkrieges traf natürlich auch die jüdischen Bürger der Stadt, zeitweise
kam das jüdische Leben zum Erliegen.
In der rumänischen Zeit begann nun ein neuer Abschnitt der Geschichte Czernowitz und der
dortigen jüdischen Gemeinde. Mit fortschreitender Romanisierung kam der latente
Antisemitismus, und die Stellung der Juden in der Wirtschaft, Stadtverwaltung und Bildung
wurde angegriffen. Als Reaktion auf den wachsenden politischen Druck bemühte sich die
jüdische Führung darum, ihre Bürgerrechte zu verstärken.
Für das rumänische Parlament wurden 1926 zwei, und im Jahr 1931 sogar drei jüdische
Vertreter, unter ihnen Mayer Ebner, gewählt.
Die Juden waren in ihren politischen Ansichten gespalten. Manche vertraten eher liberale, andere
eher linke Ideologien, mit denen sie die Lösung jüdischer Fragen suchten. Aber auch unter
diesen schwierigen Bedingungen gelang es der jüdischen Gemeinde der Stadt, eine Reihe
wichtiger sozialer Projekte zu realisieren. So wurde im Jahr 1920 ein neues Jüdisches
Krankenhaus geplant und im Jahr 1930 gebaut.
Es folgte eine Blütezeit des jüdischen Lebens in Czernowitz. Es gab eine neue Synagoge, aktive
verschiedene jüdische Organisationen und Gesellschaften und zahlreiche jüdische Zeitungen und
Zeitschriften erschienen. Mit talentierten Menschen wie Moses Rosenkranz, Alfred Kittner, Rose
Ausländer, Joseph Schmidt und vielen anderen erlebte Czernowitz einen kulturellen Höhepunkt.
Doch in den Jahren 1937-1938 nahm die rumänische Regierung die deutschen Rassegesetze an,
sehr zum Schrecken der Juden. Nach dem deutsch-sowjetischen Pakt im Jahr 1939 geriet
Czernowitz ab 1949 wieder unter sowjetische Kontrolle und seine Bewohner wurden sowjetische
Bürger. Doch für diese Befreiung mussten sie mit ihrem Eigentum bezahlen: Die Enteignung
betraf jedoch nicht nur die jüdische Gemeinde, sondern auch die jüdischen Haushalte. Viele
jüdische Aktivisten gerieten ins Visier des NKWD. Mehrere tausend Czernowitzer Juden wurden
nach Sibirien deportiert. Wenig überraschend wurde der eilige Rückzug der sowjetischen Armee
von den Juden ohne viel Bedauern gesehen.
Von da an gehörter Czernowitz wieder zu Rumänien, das mit dem Deutschen Reich verbündet
war. Die ersten Einheiten der rumänischen Armee drangen am 5. Juli 1941 in die Stadt ein,
nachdem sie zuvor in der südlichen Umgebung von Czernowitz tausende Juden umgebracht
hatten. Die Massenerschießungen von Juden wurden am 7. und 8. Juli wiederholt. Ihre Opfer
waren etwa 600 Menschen, darunter auch der Oberrabbiner und Kantor des Tempels.
Die rumänischen Behörden planten die ethnische Säuberung der Stadt und des Landes von den
Juden zu vollenden.
Mitte Oktober 1941 wurde das Ghetto in Czernowitz begründet und es begannen die
regelmäßigen Massendeportationen nach Transnistrien.
In Chernivtsi und Umgebung wurden etwa 50.000 Juden inhaftiert. Insgesamt wurden während
des angegebenen Zeitraums mehr als 30.000 Einwohner aus der Stadt nach Transnistrien

geschickt. Das Schicksal dieser Czernowitzer ist tragisch. Viele von ihnen starben auf dem Weg,
noch mehr starben an Hunger, Kälte und Krankheit in den Ghettos und Lagern.
Der rumänisch-stämmige Bürgermeister Traian Popovici, auch bekannt als der „Schindler der
Bukowina“, erhielt am 15. Oktober den Befehl, 15.000-20.000 Juden zu behalten, die als
„ökonomisch wertvoll“ galten, da sie für die industrielle Produktion benötigt wurden. Er schaffte
es, 16.5000 Juden zu retten, indem er sie für ihren Beitrag zum Funktionieren Stadt als
unerlässlich klärte. Leider konnte auch er die spätere Deportation von zwei Dritteln der
vermeintlich Geretteten nach Auschwitz nicht verhindern.
Zwischen 1944 und 1945 kehrte nur ein Bruchteil der überlebenden Czernowitzer Juden aus
Transnistrien zurück. Doch in ihrer Heimatstadt waren sie nicht länger erwünscht. Ihre
ehemaligen Wohnungen und Häuser wurden von zahlreichen Vertretern der sowjetischen Armee,
Elite und Partei bewohnt.
Darum wanderten viele der Juden über Rumänien aus Czernowitz aus und suchten eine neue
Heimat in der Ferne.
Die in Czernowitz verbliebenen Juden hofften, ihre Gemeinde bei den sowjetischen Behörden
wieder wie zur Vorkriegszeit zu etablieren. Sie hielten jüdische Gottesdienste, wählten einen
einflussreichen jüdischen Rat und Rabbinat, der sich um eine Zusammenarbeit mit dem neu
gebildeten Joint bemühte. Dies erweckte das Misstrauen auf sowjetischer Seite. 1958 wurde die
Gemeinde der Förderung des Zionismus, Klerikalismus, Finanzspekulation beschuldigt und
dauerhaft verboten. Letzte Rabbiner verlassen Czernowitz und die „Große Synagoge“ – die
älteste Steinsynagoge der Stadt – erlitt das gleiche Schicksal wie viele andere ähnliche Gebäude,
die für andere Zwecke genutzt wurden.
Bis zum Ende der 1980er Jahre fror das jüdische Leben in der Stadt ein. Nach dem
Zusammenbruch der Sowjetunion erlebte es noch mal eine kurze Blütezeit. Einige Vertreter der
Vorkriegsgeneration waren daran aktiv beteiligt. Andere begrenzten sich auf die nicht minder
wichtige Rolle, nämlich der Zeugenschaft des Holocausts und der mahnenden Erinnerung.