Emilia Arsenjew

Geboren bin ich in Kamjanez-Podilskyj. Meine Eltern stammten von dort; sie wuchsen beide in den Großfamilien auf: Mein Vater hatte zwei ältere Brüder und eine Schwester. Mein Groävater väterlicherseits wurde in einer Familie mit 16 Kindern geboren, von denen nur acht am Leben blieben. Als mein Vater elf war, starb sein Vater, mein Opa. Die Brüder kümmerten sich um die Familie. Meinen Vater behandelten sie wie ihren eigenen Sohn.

Die Familie des mittleren Bruders des Onkels Sergej lebte in Kamjanez-Podilskyj. Er selbst arbeitete in einer Textilfabrik in Chmelnizk, dem ehemaligen Proskurow. In Proskurow lebte noch ein Bruder von ihm. Als der Krieg begonnen hatte, half der Onkel Sergej der Familie des Bruders mit drei Kindern abzureisen. Nachdem er sie in den Zug zur Evakuierung gesetzt hatte, kehrte er nach Kamjanez-Podilskyj zu seiner Frau und dem jüngeren Sohn zurück. Der ältere Junge befand sich zu diesem Zeitpunkt bei den Großeltern in Odessa, wohin er nach dem Ende des Schuljahres gefahren war (eigentlich sollte der Jüngere dahin fahren, aber man hatte den älteren geschickt). Sie wollten wegfahren, aber es gingen keine Züge mehr. Dann beschlossen sie zu Fuß zu gehen. Die Deutschen haben sie aber eingeholt und zurück nach Kamjanez-Podilskyj gebracht, und natürlich landeten sie im Ghetto. Die Ehefrau und das Kind wurden früher erschossen als der Onkel. So erzählten es die Augenzeugen, ihre Nachbarn. Die Kinder und Frauen wurden getrennt voneinander erschossen. Dem Onkel hat man die Arbeit angeboten, da er ein Fachmann in der Textilfabrik war, den man benötigte. Er hatte jedoch erfahren, dass seine Frau und Kinder erschossen wurden, und lehnte ab. Und am 29. August 1941 wurde auch er erschossen. Das ist mit Gewissheit bekannt.

Ihr Sohn Wladimir überlebte. Nachdem er zusammen mit den Großeltern aus Odessa evakuiert wurde, schrieb er später alle möglichen Behörden an, konnte aber keine Informationen über seine Eltern herausfinden. Als Kamjanez-Podilskyj 1944 befreit wurde, kehrte er zurück. Von den Nachbarn erfuhr er, was passiert war. Mit dieser Last lebte er ein Leben lang. Er hatte sehr darunter gelitten, dass er anstelle seines jüngeren Bruders nach Odessa gefahren und am Leben geblieben war, während sein Bruder starb. Später ist er ein guter Jurist geworden, hatte auch Bücher geschrieben. In einem Buch erzählt er über das Schicksal seiner Eltern und des Bruders. Seinen Sohn hat er nach seinem Vater Sergej benannt. Als Sergej wiederum eine Tochter bekam, gab er ihr den Vornamen Alexandra, zu Ehren des umgekommenen Bruders seines Vaters.

Noch verblieb in Kamjanez-Podilskyj die Großmutter meines Vaters, sie war 98 Jahre alt und konnte nirgendwohin wegfahren. So saß sie eines Tages im Hof, die Deutschen kamen in den Hof und haben sie einfach erschossen, das ist alles.

Meine Großmutter mütterlicherseits hatte noch eine Schwester und zwei Brüder. Die Schwester lebte mit uns ihr ganzes Leben lang, ein Bruder ging an die Front und kam dort um, und der zweite hatte versucht, seine große Familie wegzubringen. Als sie mit einem Pferdewagen unterwegs waren, wurden er, seine Frau und ihre vier Kinder von den Faschisten angehalten, zurückgebracht und erschossen. Mütterlicherseits habe ich praktisch keine Verwandten mehr.