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Roman Krawtschenko-Berezhnyj

Das Tagebuch des 17-jährigen Jungen Roman Krawtschenko-Berezhnyj, geboren 1926 in
Kremenez, war ein Sachbeweis beim Nürnberger Prozess gegen die wichtigsten Naziverbrecher.
Das Tagebuch besteht aus zwei Heften. Im ersten Heft ist ein Manuskript, im zweiten ist ein
Schreibmaschinentext mit 136 Seiten. Im Kremenezer landeskundlichen Museum befindet sich der
erste Teil. Das ist ein kleines Heft, das mit dem 11. Juli 1941 anfängt und am 17. Juni 1942 endet.
In dem Tagebuch befinden sich einige Zeitungsauschnitte. Heutzutage ist das Tagebuch in der
Ausstellung des Zweiten Weltkrieg-Saales. Es wird neben einem Porträt von dem Autoren
ausgestellt. Dort gibt es auch ein anderes Buch „Das Aufrufen“ („Перекличка“), das 1978
veröffentlicht und dann dem Museum geschenkt wurde. Das ist eine kurze autobiographische
Erzählung, in der der Autor einen Versuch macht, über die Erlebnisse anders nachzudenken und in
die Vergangenheit zu schauen, in dem er seine Erinnerungen mit dem heutigen Tag verbindet.
Am 26. Juli schreibt der Junge so: „Nazis haben allen Juden mit Hochschulbildung befohlen, zu
einer Anmeldung zu erscheinen. Alle, die gekommen waren, wurden verhaftet. Einige wurden
freigelassen und viele wurden erschossen.“ So wurde die jüdische Gemeindeführung vernichtet.
„Insgesamt waren 600 Menschen in Kremenez verhaftet.“ Eine andere Schätzung geht von 800
Personen aus.
Kurz danach befahl der Gebietskommissar Miller, dass alle Juden Erkennungszeichen tragen
sollten. Man musste auf der Kleidung (an der Brust und den Schultern), gelbe runde Flicken, nicht
kleiner als 15 cm im Durchmesser, tragen.
„Das Aussehen ist grausam“ hat Krawtschenko-Berezhnyj geschrieben.
Nach einem Schreiben vom 16. Juli 1941 sollten Juden ein Band mit dem Davidstern am Ärmel
tragen. Bald durften die Juden den Bürgersteig nicht betreten und keine Fette kaufen. Solche
erniedrigende Behandlung war schwer zu verstehen und zu ertragen. Deswegen blieben die meisten
Juden zu Hause.
Die Erniedrigung der Juden konnte man überall sehen. Im Tagebuch gibt es eine Geschichte davon.
„Es war eine Schlage am Geschäft, um Brot zu kaufen. Die Schlange bewegte sich sehr langsam.
Aber als ein Jude an der Tür kam, näherte sich ihm ein Gendarm und ließ ihn an das Ende der
Schlange zurückgehen. Und so hat er es ein paarmal wiederholt. Zum Schluß ist der Jude ohne Brot
nach Hause gegangen. Und dort weinen seine hungrigen Kinder.“
Roman Krawtschenko-Berezhnyj hat nach dem Kriegsende in seinem Buch „Das Aufrufen“ die
längste Nacht in seinem Leben beschrieben. Er sah, wie die Juden in Trophäen-Lastwagen
transportiert wurden. Für diesen Vorgang wurden auf die Lastwagen hohe Bretter eingestellt.
Menschen wurden reihenweise aufeinander mit den Gesichtern zum Boden gelegt. Über sie haben
sich Polizisten gestellt. Und ein anderer Polizist hat das Auto gefahren. Die Lastwagen sind zum
Stadtrand zum Schutzengräben aus den Zeiten der Ersten Weltkrieg gefahren. Da wurden viele
Menschen mit einem Kopfschuss ermordet und in den Graben geworfen. Die anderen mussten sich
ausziehen und auf die noch warmen und mit Chlor begossenen Leichen legen. Für jeden gab es nur
einen Schuß. Die Lastwagen mit Kleidung kehrten in die Stadt zurück, um die neue „Partie“
abzuholen. Dieses „Laufband“ funktionierte ein paar Tage.
Der Junge war mit einem jüdischen Mädchen Faina Lensbruk befreundet und sah, als sie auf einem
Lastwagen transportiert wurde. „Faina stand auf einem halbleeren Lastwagen. Sie hat nicht
geschrien und nicht um Hilfe gebeten…“ Das Mädchen wurde am 10. August 1942 erschossen.
In dem Tagebuch von Krawtschenko-Berezhnyj wird auch die Hilfe für jüdische Familien erwähnt.
Der Autor selbst war mit einem jüdischen Mädchen befreundet, und sein Vater hat ein Jahr lang
einen Juden, dem es gelungen war, vom abgebrannten Ghetto gerettet zu werden, versteckt. Der
Jude wurde auf einem Friedhof in einer Krypta versteckt, bis die sowjetischen Soldaten in die Stadt
kamen. In dem Buch „Das Aufrufen“ erinnert sich der Autor daran, dass er bei jedem seiner

Besuche in Kremenez unbedingt den alten Juden in seinen Friseursalon besuchen musste, der ihn
als Dankeschön rasierte.

 

Erinnerungen von Wasyl Pidmurnyj.

Ein weiteres Zeugnis über die Zeit des Zweiten Weltkriegs sind Vasyl Pidmurnyjs Memoiren der
1930er-1950er Jahre, die aus vier Büchern bestehen.
Ein großer Teil des Manuskripts widmet sich dem Zweiten Weltkrieg (das 1. Buch), nämlich den
Gräueltaten der Nazi-Besatzer auf dem Territorium der Region, der Organisation des Ghettos, den
Massenerschießungen der jüdischen Bevölkerung. Im Jahr 1996 übergab Vasyl Pidmurnyj „seinen
Schatz" (wie er es nennt) an seine Schwester Anisija Lisnitschuk, und nach dem Tod des Autors
wurde das Manuskript an das lokale landeskundliche Museum übergeben.
Den letzten „Weg des Lebens“ der Kremenezer Juden beschreibt Pidmurnyj so: „Anfang
September 1942 kam die Einsatzgruppe C in die Stadt. Dann begannen die SS-Soldaten eines
helllichten Tages alle Juden, alt und klein, Frauen und Kinder, in kleinen Gruppen aus dem Ghetto
zu holen. Sie jagten sie in zuvor ausgegrabene Gruben in der Nähe eines militärischen
Schießstandes und sie wurden dort erschossen. Es waren über elftausend.“ Dieser Vorgang dauerte
mehrere Tage. Es fällt sehr schwer, die Memoiren zu lesen: „Da waren die Juden fasziniert, in einer
fantastischen Ekstase oder Trance, flüsterten ihre Gebete, sie gingen ruhig und gelassen, als ob sie
zur Arbeit gingen … Es gab Anfälle von Wahnsinn, wenn jemand anfing zu schreien, doch die
Deutschen holten sie schnell aus der Reihe und töteten sie. Die anderen Juden gingen
hintereinander weiter wie eine Trauerprozession."
Es ist heute unmöglich zu beantworten, ob die jüdische Bevölkerung wusste, dass dies ihr „letzter
Gang" war. Wahrscheinlich nicht, weil es unmöglich ist, dies zu realisieren. „Und die Leute gingen
mit ihren Sachen,“ – so lesen wir bei Pidmurnyj – „alle hatten kleine Säcke, manchmal Taschen.
Eine Gruppe von Verurteilten, etwa hundert Menschen, wurde zu den Löchern gezwungen, es
wurde ihnen befohlen, die Sachen zu übergeben und sich auszuziehen … Also, sie führten die Juden
in Gruppen in eine Grube, warfen sie auf die Knie und erschossen sie. Nach den Erschießungen
begossen freiwillige Schutzmänner die Leichen mit Chlorkalkösung und warfen sie in den Boden.
Dann wurde der Platz für die nächste Gruppe vorbereitet…“
1945 wurde eine Untersuchung der Verbrechen der deutschen Eindringlinge in der Kremenezer
Region beauftragt. Der 11. Akt dieser Kommission verzeichnete die Gräueltaten der Faschisten. In
einem von ihnen lesen wir: „Am 10. August wurden 5000 Kinder, Frauen und alte Menschen
jüdischer Nationalität im ehemaligen Schießstand des Jakuten-Regiments außerhalb der Stadt
hingerichtet." Und weiter: „Bei einer Massenuntersuchung der Schädel wurden runde, eingehende
oder unregelmäßig geformte Feueröffnungen von 0,6 bis 0,8 cm Durchmesser gefunden. Alle
Leichen liegen unter dem Boden wie gepresst…"
 

Erinnerungen von Nina Noskova (Maslowskaja)

Nina Noskova erinnert sich an eine Freundschaft zu ihrer jüdischen besten Freundin, Hitlia Gandel,
die nicht mal durch das Ghetto beendet werden konnte. Nina Noskova brachte ihrer besten Freundin
Nahrung dorthin. Sie erinnert sich an „ein schönes Gesicht und den Frust in den Augen. Und in den
Händen trug sie die Sandalen, mit denen sie mir für das Brot danken wollte… Im Jahr 1942 teilte
das Mädchen das Schicksal vieler anderer Juden und wurde am Stadtrand Kremenez’ erschossen.“